Katrin Jaquet
 

neg



2019-21

40x60cm - 60x90cm, inkjet on Hahnemühle Baryta, wooden frames



When my mother died some years ago, I inherited all the family photos. Albums year by year as well as boxes full of unsorted photos. I love to look through the chaos in those boxes, corresponding to the layering and mixing of memories and narratives.

There are many prints in those boxes, but there are no negatives. The negatives of the older family photos had been thrown long before, and from recent images, there have never been any negatives, only files.

I am interested in the notion of the negative as a potential. A negative is the starting point for the positive, a possibility. It has to be interpreted, you can make very different prints from the same negative. On a visual level, a negative is an abstract image. It is „unreadable“, you can’t recognize a person, but you may see their essence in an even more precise way.

So I digitally (re)created those missing negatives and I combined them with other images of another family member in a similar situation. I am interested in the point where the layers and the persons seem to melt into each other, where there’s a new, ambiguous image which is more than the literal combination of positive and negative. 



exhibition views, Künstlerhaus Bethanien, 2022 




Fides Becker

Aufgedecktes verbergen und Verborgenes aufdecken


Changierende Fotografien, sich überlagernde Bilder im Raum. Fläche im Raum, die in die Tiefe reicht. Fixieren lassen sich die einzelnen Bilder, die jeweils aus mehreren sich überlagernden Fotos bestehen, kaum. Fotoalbum auf dem Schoß, die Kiste mit Fotos in der Hand, blättern, stöbern. Erkennen, aha und staunen: War das wirklich so? Was habe ich davon wahrgenommen bzw. woran kann ich mich noch erinnern? Familiengeschichte. Exemplarisch für die Allgemeinheit, nicht konkret auf das eigene Leben bezogen... obwohl? Die eigene Vergangenheit aufarbeiten und in einen allgemeinen Kontext stellen, historisch, kulturell. 

Farbfotografien und Schwarz-Weiß-Aufnahmen überlagern sich mit solchen, die als Negative präsentiert werden. Die einzelnen Aufnahmen erhalten Transparenz, mehrere zusammen entfalten eine neue Bedeutung. Die einzelnen Aufnahmen machen nicht wirklich etwas deutlich, aber im Zusammenspiel mit anderen Bildern bilden sie etwas Neues, eine Eigenständigkeit. Hierin liegt auch die Genauigkeit, im Eintauchen hinter die Oberflächen, die sich entziehen, weil sie durch die Überlagerungen in ihrer Geschlossenheit durchbrochen, ge- und zerstört werden. 

Vergrößerungen im Verhältnis zu den greifbaren Fotografien aus den Alben und Kisten, noch mehr vergrößert ist die Struktur der Einbände der Fotoalben, die auch der Ausstellung eine weitere Dimension verleihen: grobe Leinenstrukturen, die für die 70er des vergangenen Jahrhunderts so typisch waren, Knallfarben Rot und Grün, versetzt gegenüber, der Feindseligkeit ausweichend und verstärkt durch das Orange, das ein Dreieck zu ihnen bildet. Die Ränder der Webeflächen ziehen sich mit einzelnen Fasern ins Weiß der Wände. Die Einfärbung der Textilien ist nicht ganz gleichmäßig, auch typisch für die 70er, die das Poppige mit Natürlichem in Verbindung brachten. Bei näherer Betrachtung lassen sich darin die Umschläge von Fotoalben erkennen, die Textilien hätten auch für Möbelpolster oder Vorhänge verwendet werden können. In der Ausstellung bilden sie schwebende Quadrate auf der Wandfläche und tragen nach außen, was sie sonst verdecken: Fotocollagen verschiedener Aufnahmen, die sonst einzeln nacheinander und nicht gleichzeitig betrachtet werden. 

Die Atmosphäre der 70er wird durch die glatten Prints der Fotocollagen auf Papier in einer glaslosen Rahmung mit zarten Holzrahmen verstärkt – Rahmen, die einfassen, abgrenzen und vermitteln, auch ein Zeitgefühl aus einer vergangenen Epoche, das sie gleichzeitig in die Gegenwart transportieren. Manchmal sind auf den Fotografien die typischen Büttenränder sichtbar, die den Fotos bis in die 60er gerne gegeben wurden, leichte Schatten, die sie auf das dicke Papier der Fotoalben werfen, manchmal lassen sich Fotoecken erkennen. 

Familiengeschichte? Negativdarstellungen von Fotografien – ein Kommentar? Negativ und positiv überlagern sich und bilden ein eigenständiges Neues, wie auch die Erinnerungen, die immer lückenhaft sind und die Wirklichkeit subjektiv verfremden. Eine Reise in das, was zurückliegt, was nicht an einem Ort, auch nicht im Fotoalbum oder der Kiste mit Fotografien zu finden ist, sondern in unserem Inneren. Der Transport der Vergangenheit in die Gegenwart ist eine Konstruktion. Das zeigt diese Ausstellung.





see also the videos related to this series:

https://vimeo.com/371495592

https://vimeo.com/371491748