Katrin Jaquet
 


einander

since 1999

diptychs of ilfochrome prints, each 120 x 80 cm

long exposure






Björn Alfers

zur Serie "einander"


(...) In verschiedener Hinsicht versammelt Katrin Jaquet in den gezeigten Arbeiten vielfältige Aspekte ihres fotografischen Werkes.

Durch eine besondere Vorgehensweise der Belichtung, die in ihrer Ausführung so schlicht wie logisch erscheint, sind Bilder entstanden, die auf den ersten Blick Rätsel aufgeben.

Mit einer lichtstarken Taschenlampe wird die fotografierte Person Stück für Stück aus dem Dunkel des Raumes herausgeholt, wird ihre Kontur nachgezeichnet und lässt den Betrachter doch nur soviel sehen, wie der Ausführende will. Dabei gilt der Fotografin das Prinzip des erwiderten Blicks. Die intime Situation einer Porträtsitzung verbleibt nicht allein in der klassischen Teilung zwischen Fotograf und Model, sondern gibt beiden Seiten das Licht in die Hand und somit die Erfahrung des Anderen. Während also die eine Person sich in ständiger Bewegung befindet, um jede Körperpartie zu erreichen, sitzt die andere still und gleichzeitig bewusst in ihrer Positur. Hierin gleichen die Porträtaufnahmen von Katrin Jaquet ganz den besonders eindrücklichen Menschenbildern aus der Frühzeit der Fotografie. War es damals die Materialqualität, die eine ausgedehnte Belichtungszeit und damit einhergehend eine präzise Haltung des Gegenüber erforderte, so verlangt nun die zeitliche Dauer des abtastenden Blicks nach Geduld und Vertrauen.

Die Arbeiten von Katrin Jaquet setzen sich immer wieder mit den scheinbar vollkommen verschiedenen Gegebenheiten einer zum einen sehr technisch motivierten, zum anderen besonders persönlich verwendeten Fotografie. Wenn sie sich in ihrer Serie Mama etwa Diapositive in den eignen Rachenraum projiziert und dieses dann abfotografiert, so interessiert sie dabei neben der formalen Qualität eines solchen Bildes gerade auch die symbolische Konnotation.

Ganz ähnlich dringt das Projekt einander ein in die geschlossene Atmosphäre eines dunklen Raumes und gibt derart den Blick frei auf ein persönliches Intermezzo, eine Beziehung, die sichtbar gemacht worden ist und dennoch ein Geheimnis zu bleiben scheint.

Pressetext zur Ausstellung in der Brotfabrik Berlin (2003)





Hans-Werner Schmidt

Die Spur der Augen


Katrin Jaquet arbeitet mit Projektionen. Dies geschieht nicht nur in physikalisch-technischer Weise - früher hießen Projektoren Lichtwerfer - sondern auch im Sinne von mentalen Besetzungen. Mit drei Foto-Serien, alle mit Mama betitelt, hat Jaquet Position bezogen. Sie überblendet bei Mama I Porträts ihrer Mutter und Großmutter mit den eigenen Gesichtszügen in wechselnden Kombinationen. Sie hält diese visuellen Stammbaumverschmelzungen mittels Kamera fest. In den nicht deckungsgleichen Gesichtspartien wird sichtbar, wie Alter und Jugend nicht zu einem homogenen, zeitlosen Porträt zusammenkommen. Bedingt durch die Ähnlichkeit in den Zügen der Frauen aus drei Generationen wird Jugend mit dem auch in die eigene Biografie eingeschriebenen Alterungsprozeß konfrontiert, während bei Mutter und Großmutter partienweise Lebensspuren getilgt werden und Jugend zurückkehrt.

Bei Mama II projiziert Jaquet ihr Porträt auf das ihrer Mutter, das diese mit Katrin Jaquet als Baby und Kleinkind zeigt. So kann sich die Tochter ein Vierteljahrhundert später vor Augen führen, wie sie sich als Kleinkind annimmt. Jaquets Fotoserien sind ein Selbsterkundungsprozeß - das heißt, hier wird im Blick der Zuneigung ein Bekenntnis zum Selbst deutlich - während ein unsicherer, eher distanzierter Blick dieses Selbst in Frage stellen würde.

Der sich vergewissernde Blick bestimmt auch die Mama III-Serie. Jaquet projiziert Dias aus der Kindheit und hält diese Überlagerung von Erinnerung und Anatomie im Bild fest. Die Fotos zeigen familiäre Idyllen nun am Rand des Schlunds plaziert. Sie kommen in einem Bereich zu stehen, wo es uneindeutig bleibt, ob Erinnerungen hochkommen, oder ob man sie am liebsten runterschlucken würde.

Während sonst Überblendungen Bilder durch andere verschließen und Blicke verstellen, bewirken Jaquets Projektionen eine Blickschärfung durch die Nicht-Deckungsgleiche der Schichten bzw. durch die befremdende Verortung des einen Motivs im anderen.

Auch die neue Serie einander legt Verhalte und Beziehungen offen. Das Modell hält sich in einer Dunkelzone auf und läßt sich durch das gleißende, gebündelte Licht einer Taschenlampe ausleuchten. Die Kamera hält mittels einer langen Belichtungszeit die Porträtsitzung fest. Die Porträts erscheinen auf dem Grat zwischen festlicher, barocker Illuminierung und diabolischer Inszenierung. Der Körper erhält durch das Licht- und Schattenspiel eine eindringliche plastische Präsenz. Doch hinter diesen mehrdeutigen Stimmungswerten steht noch eine weitere Ebene, die Jaquets analytische Sicht belegt. Der bzw. die Ausleuchtende berührt den Körper des Modells mit dem Lichtpunkt und belegt in einem Ablauf alle Zonen des Leibes. Der im Kamerablick festgehaltene Prozeß verrät die Blicke desjenigen, dem hier der Aktivpart zukommt. Lichte Stellen am Körper belegen die lange Verweildauer des Leuchtstrahls und somit des Blickes. Dunkelzonen zeigen, daß sie wenig Aufmerksamkeit auf sich zogen. Extreme Hellstellen vermitteln den Eindruck, als seien Körperpartien durch das darauf ruhende Auge absorbiert worden. Hier verweilt das Licht bzw. der Blick am längsten. Wenn die weiblichen Brüste so plastisch neutralisiert werden, ist dafür, wie die Porträtsitzungen gezeigt haben, nicht immer der männliche Blick verantwortlich. Vor allzu schnellen Interpretationen ist zu warnen. Konturenlose Dunkelpartien des Unterleibes müssen nicht Desinteresse belegen. Hier greift die Selbstzensur ein, die dem Blick in der Bahn des Lichtstrahls die Zügel gibt und ihn rasch weitergleiten läßt.

Die Kamera mit langer Belichtungszeit ist hier der Zeuge einer Beziehung. Lichtspur und Blickroute zeigen die emotionale Nähe und Ferne des (mittels Licht) Modellierenden zum Modell. Fraglos gehen hier Gefühle in eine erotische Tonlage über. Dies spürt auch das der Kamera gegenüber in verhaltener Stellung bleibende Modell. Der Lichtstrahl wird als wärmend empfunden (ohne daß ein wesentlicher Temperaturunterschied auszumachen wäre). Das Modell spürt die lichte Ausmalung seines Körpers wie den Verlauf einer nicht-taktilen Berührung.

Jaquets Porträts der Serie einander sind Doppelporträts. Sie zeigen das Modell wie auch das im Dunkeln bleibende Gegenüber. Sicherlich bezeugt jedes künstlerische Porträt den Blick des Porträtierenden. Hierbei sind Blicke jedoch nicht unmittelbar, sie werden gelenkt durch die Brille künstlerischer Gestaltung. Jaquet dagegen läßt den puren Blick zu, der Auskunft gibt über Distanz und Distanzlosigkeit zum Modell, der das Auge in emotionaler Projektion als handelndes und Spuren hinterlassenes Organ ausweist.

Katalogtext zur Ausstellung "Fotografie vor Ort", Kunsthalle zu Kiel 1999